Immanuel Kant - KRITIK DER REINEN VERNUNFT
"Die Linie, die ich ziehe - Aspekte des kantischen Cogito
innerhalb der transzendentalen Deduktion"
Juni 1986
Die paradoxen Schwierigkeiten des Denkens des SelbstDas "Selbstdenken" bedeutet das Erwachen allgemeiner
individueller Freiheit in der Aufklärung und ist damit, wie jede
Aufklärung, irreversibles Ereignis. Dies Erwachen ist ein paradox-ernüchterndes:
die Freiheit findet sich als begrenzte. Kant selbst
hat die Frage nach der Freiheit des Menschen spät zur vorrangigen
gemacht. Sie war es, "welche mich aus dem dogmatischen Schlummer
zuerst aufweckte und zur Kritik der Vernunft selbst hintrieb, um
das Skandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit ihr
selbst zu heben." Und er hat den "scheinbaren Widerspruch" in der
'Kritik' wiederholt, indem er das als notwendige Bedingung der
Möglichkeit seiner selbst sich entdeckende autonome Denken in
einer Jurisdiktion des Verstandes, einer apodiktisch auftretenden
lex rationis entfaltete. [ ... ]
"En acte" wird die Freiheit sich selbst zum Phänomen, wie die
Kant-Lesart von Sartre es ausdrückte. Denn Aktivität oder
Spontaneität zunächst, im weiteren Konstruktivität und Strukturalität
sind ihre Kennzeichen, gleichzeitig die sie mit Notwendigkeit
schlagenden Bedingungen, die sie vor ihrem Selbstverlust schützen.
Als freies Selbstdenken sucht sie ihren Ursprung im Denken des
Selbst. [ ... ]
"Was kann ich wissen?" (B 833), fragt also das Subjekt, während es
im Hinterkopf hat, daß erst, wenn der Gegenstand der Erfahrung
bestimmt ist - DAS ist seine Erkenntnis (B 166 Anm.) - , sich der
Geltungsbereich der Aussagen über das fixieren läßt, was über ihn
hinausgeht (und dazu gehört nach Kants Ansicht die Freiheit).
Vorderhand geht es ihm damit um die Sicherstellung von Beweismitteln
für eine Philosophie von Objekten. Erst darüber kommt es auf sich
selbst zu sprechen, da es diese Beweismittel VOR aller Erfahrung
sucht, als Bedingungen ihrer Möglichkeit. Denn Erfahrung allein
läßt es wegen der zufälligen Ereignishaftigkeit des empirischen
äußeren Weltgeschehens im Skeptizismus enden.
[ ... ]
"Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen,
Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern
diskursiv." (B 93) Und das meint hier auch: regelgeleitet. Der
Begriff ist das Endprodukt notwendig regelhaft arbeitender
Agentien, kurz: logischer Verstandesfunktionen. Die bestehen
darin, die ungeordneten Einzelstücke, das "Mannigfaltige" der
Impressionen, zu jeweils einem geordneten Ganzen zusammenzufassen,
seine Synthese zu leisten, um Erfahrung im Begriff erst als
vollständige aufgehen zu lassen.
[ ... ]
"Ich denke mich selbst zum Behuf einer möglichen Erfahrung" (B 427)
[ ... ]