"Ein Zeitalter der Postbiologie hat begonnen. Die Protagoras-Metapher vom
Menschen als Maß für alles wandelt sich in die ungelöste Aufgabe einer kollektiven
Selbstbemessung der physio-physischen Ausstattung von Individuen und gar der Spezies Mensch,
für die nur Pseudo-Experten bereitstehen."
In der Philosophie des 20. Jahrhunderts mit ihren unterschiedlichsten Strömungen - Neukantianismus
(im Ausklang), Lebensphilosophie, Phänomenologie, Logischer Positivismus, Analytische
Philosophie, Neomarxismus, Existentialismus, Pragmatismus etc. etc. - hat niemand mehr, und das
aus gutem Grund, den Versuch unternommen, das Denken der Welt in Gestalt einer totalisierenden
Synthese zu fassen. Die Physiker haben diesen Versuch auf ihrem Feld unter dem Namen GUT
(grand unifying theory) noch nicht aufgegeben. Dafür haben sie aber den Geltungsbereich ihrer
Wahrheit, auf den sie Anspruch erheben, sehr stark eingeschränkt bzw. von menschlicher
Selbsterkenntnis abgelöst. Das naturwissenschaftliche Denken interessiert sich nicht für die
Frage des "guten Lebens". Diese Situation besteht im 21. Jh. in verschärfter Form fort.
Die Frage nach dem "guten", dem menschenangemessenen Leben wird jedoch umso lauter gestellt.
In der Folge seien stichwortartig einige Namen und Thesen aufgeführt, die einerseits nach
Antworten auf diese Frage suchen, andererseits für die Relativierung aller Wissensansprüche
und den Verlust eines archimedischen Punktes (den auf dem Gebiet der Mechanik bekanntlich auch
jener schon vergeblich suchte) des Denkens der Welt und des Menschen stehen, der endgültig
zu sein scheint:
- F. Nietzsche - "Wie dürften wir, wenn die Wahrheit bei der Genesis der Sprache, der
Gesichtspunkt der Gewißheit bei den Bezeichnungen allein entscheidend gewesen wäre, wie dürften
wir doch sagen: der Stein ist hart: als ob uns "hart" noch sonst bekannt wäre, und nicht nur als
eine ganz subjektive Reizung!"
- J.-P. Sartre - Aus dem phänomenologisch begründeten Konzept einer absoluten
Freiheit des Subjekts lässt sich kein übergeordneter Maßstab
ableiten:
"Einsam und voller Angst tauche ich empor gegenüber dem ersten und einzigen Entwurf, der mein
Sein konstituiert, alle Geländer und alle Schutzwehren zerbrechen, genichtet vom Bewusstsein
meiner Freiheit: bei keinem Wert habe ich und kann ich eine Zuflucht haben vor der Tatsache, dass
ich es bin, der die Werte im Sein hält, nichts kann mich gegen mich selbst sichern; abgeschnitten
von der Welt und meinem Wesen durch dieses Nichts, das ich bin, habe ich den Sinn der
Welt und meines Wesens zu realisieren: ich entscheide darüber, allein, ich bin ohne
Rechtfertigung und unentschuldigt."
- M. Foucault - "Wenn der wahre Diskurs seit den Griechen nicht mehr derjenige ist, der dem
Begehren antwortet oder der die Macht ausübt, was ist dann im Willen zur Wahrheit, im Willen,
den wahren Diskurs zu sagen, am Werk - wenn nicht das Begehren und die Macht?"
- J.-F. Lyotard - Das Problem der Legitimation von Wissen:
"Die Frage, die ( ... ) gestellt wird, ist nicht mehr: Ist das wahr? sondern: Wozu dient es? Im
Kontext der Merkantilisierung des Wissens bedeutet diese letztere Frage meistens: Ist es
verkaufbar? Und im Kontext der Machtsteigerung: Ist es effizient?"
Das postmoderne Wissen, Wien 1986, S. 150
- R. Rorty - Rorty plädiert für die Aufgabe des vergeblichen Versuchs einer Letztbegründung von
Wahrheiten im Sinne eines "Spiegels der Natur":
"Der Gebrauch solcher Ehrentitel wie "objektiv" oder "kognitiv" ist nie mehr als der Ausdruck der
Übereinstimmung von Forschern untereinander (oder der Hoffnung auf solche Übereinstimmung)."
Der Spiegel der Natur, Frankfurt/Main 1987, S. 365